19. Oktober 1987 – das Audi-Max ist besetzt!

Am Abend des 19. Oktober 1987 besetzen Studierende das Audi-Max der Uni-Wien und proklamieren einen unbegrenzten Streik. Keine 24 Stunden später sind alle österreichischen Universitäten und Hochschulen im Generalstreik.

„Studentenstreik legt den Universitätsbetrieb lahm“ titelt die Neue AZ am 21. Oktober. An einer nicht vorbereiteten Demonstration in Wien nehmen laut Tageszeitung „Die Presse“ 10.000 Studierende teil, in Graz sind am selben Tag 3.000 und in Innsbruck 2.000 Studierende auf der Straße.

Eine Rückschau auf die bis dahin größte studentische Protestbewegung der Zweiten Republik von Landessprecher Didi Zach, der 1987 mittendrin dabei war.

Bereits mit der Angelobung der Koalitionsregierung aus SPÖ und ÖVP im Jänner 1987 war in Wien ein „Aktionskomitee gegen Studienverschärfungen“ gegründet. Intention der AktivistInnen ist, durch das Aufgreifen von konkreten studentischen Problemen, anknüpfend an Erfahrungen, aufzuzeigen, das Protest notwendig ist. Der KSV propagierte schon geraume Zeit das Schlagwort vom „UNI-NOTSTAND“.

Im Arbeitsübereinkommen der Regierung war zudem ein Paket beschlossen worden, das studentische AktivistInnen als weiteren Sozialabbau bewerteten. Hauptpunkt – und wohl zentraler Anknüpfungspunkt der Bewegung – war die Streichung der Familienbeihilfe für Studierende über 25 Jahre (welche vorher bis zum Alter von 27 Jahren bezogen werden konnte) und damit das Anrecht auf Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von der Wohnung zur Uni.

Bei Verlust der Familienbeihilfe fiel weiters die Schulfahrtbeihilfe für auswärtige Studierende weg sowie die Möglichkeit der Mitversicherung bei den Eltern. Auf Umwegen, wenn Sozialversicherungsbeiträge für die Studienzeit nachgezahlt werden müssen (laut VSStÖ Kosten von ca. 2.800,– Schilling pro Monat), um den Pensionsanspruch geltend machen zu können, sollen Quasi-Studiengebühren eingeführt werden – so die Kritik der StudentInnen. Weiters waren die Streichung der Telefongrundgebühr- und der Radio- und Fernsehgebührenbefreiung und der ÖBB-Ermäßigung für StudentInnen im Gespräch. Die Subventionen für Heime wurden um 33 % gekürzt. Die Stipendiennovelle ließ auf sich warten. ÖH-Vorsitzender Szyszkowitz (von der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft) sah aufgrund der Verschlechterungen in einem Kommentar für die Tageszeitung „Presse“ den politischen Grundkonsens des freien Hochschulzugangs gefährdet und sprach davon, daß die Maßnahmen zum sozialen Numerus Clausus führen.

Während auf den Universitäten versucht wird, Proteste zu entwickeln, war parallel ein Zusammenschluß verschiedener Gruppen und Zugänge entstanden, der die Politik der Großen Koalition kritisiert. Im sogenannten „Aktionskomitee Erster Mai“, welches ein Solidaritätsfest gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau am 1. Mai 87 im Volksgarten organisierte, waren vielfältigste politische Richtungen und Organisationen vertreten – neben Sozial- und Fraueninitativen die Katholische Arbeiterjugend Wien, VSStÖ und JG, KJÖ, KSV und GLB wie auch der Grüne Parlamentsklub. Hier wurde auf eine gesamtösterreichische Großdemonstration im Laufe des Oktobers orientiert – aktiv mit dabei der KSV. Die Bundesvorsitzende, Heidi Ambrosch, ist gewählte Plattform-Vertreterin im Koordinationsausschuß dieser Sozialplattform.

Im Juni 87 findet in Wien ein mehrtägiger Sitzstreik vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz statt – doch die studentische Beteiligung ist nicht gerade berauschend. Während der Sommerferien passiert nicht wirklich etwas. Am 26. September werden auf einer Koordinierung der Studi-Bewegung, die mittlerweile über bundesweite Strukturen verfügt, bundesweite Aktionstage mit Streik für den 21./22. Oktober und die Teilnahme an der Großdemonstration der Sozialbewegung am 24. Oktober 87 in Wien beschlossen. Doch dann kommt alles ganz anders.

Montag, 19. Oktober 1987: Im Anschluß an eine HörerInnenversammlung der Publizistik, die um 18 Uhr im Audi-Max der Uni-Wien stattfindet, wird die Besetzung eben dieses beschlossen. Um 20 Uhr sollte im NIG eine HörerInnenversammlung, eingeladen von der Fakultätsvertretungen GEWI/GRUWI, über die Vorbereitungen zu den Streiktagen am 21./22. Oktober stattfinden. Die Veranstaltung wird spontan in das Audi-Max verlegt – der Besetzungsbeschluß von ca. 800 Leuten bekräftigt. Der Rektor der Uni-Wien, Holczabek, erscheint, nach dem das Gerücht laut wurde, daß die Polizei das Audi-Max räumen wolle, nach Mitternacht im Audi-Max und versichert, daß er in einem solchen Falle die Polizei vor die Türe setzen werde. Der ORF berichtet am nächsten Morgen über die Besetzung des Audi-Max und `Ausschreitungen vor der Universität´. Die Folge – rund 2000 Studierende versammeln sich am Vormittag des 20. Oktober im Audi-Max der Uni-Wien.

Dienstag, 20. Oktober 1987: Die Komitees in den Bundesländer-Hochschulstädten erklären ihre Solidarität. Die ÖH an der Uni-Salzburg tritt am 20. Oktober in einen unbefristeten Streik, die Universitätsdirektion wird besetzt. In Graz wird für Mittwoch, 21. Oktober, der Streikbeginn angekündigt. Die Zentralausschuß-Exekutive der ÖH um Szyszkowitz verliert nun offenbar die Nerven und proklamiert – keine 24 Stunden nach Besetzung des Audi-Max – den unbefristeten Generalstreik.

„170.000 Studenten im Streik“ lautet am 21. Oktober die Überschrift der Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ auf Seite 1 bezüglich der StudentInnenproteste. Und die Neue AZ titelt: „Studentenstreik legt den Universitätsbetrieb lahm“. An einer nicht vorbereiteten Demonstration in Wien nehmen am 21. Oktober laut Tageszeitung „Die Presse“ 10.000 Studierende teil. Von Seiten der SchülerInnen wird für den folgenden Tag ein erster Streik geplant. In Graz sind am selben Tag 3.000 und in Innsbruck 2.000 Studierende auf der Straße. Bundeskanzler Vranitzky empfängt inoffiziell eine Delegation der Wiener Streikenden. Vranitzky erklärt, „daß sich die Bewegung gegen einen Sozialabbau wende, den es in Österreich nicht gibt.“ Nichtsdestotrotz wird signalisiert, daß es Ausnahmeregelungen zwecks Abfederung sozialer Härten geben könnte.

Auf einer Demonstration in Wien kommt es zum ersten Konflikt zwischen Streikbewegung und der konservativen ÖH-Führung um Stefan Szyszkowitz. Um das Mikrophon am zentralen Lautsprecherwagen der Demonstration gibt es handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen Szyszkowitz und AktivistInnen des Audi-Max. 2.000 Studierende ziehen – trotz Widerstands der ÖH-Führung, die auf Verhandlungen setzt, welche durch ungesetzliche Aktionen gefährdet werden könnten, und Bannmeile – zum Parlament und bilden eine Menschenkette.

Zentrale Auseinandersetzungslinien mit der ÖH-Führung sind, dies wird bei dieser Aktion offensichtlich, die gesamtgesellschaftliche Verortung des Protests sowie die Frage der Aktionsformen. Die Streikbewegung bekundet dezidiert ihre Solidarität mit anderen betroffenen Gruppen, was die ÖH-Exekutive nicht erfreut. Während die StreikaktivistInnen im Audi-Max meinen, daß die Solidarität mit anderen betroffenen Bevölkerungsgruppen zentrales Moment sein muß, wenn die Bewegung nicht scheitern soll, versucht die ÖH-Führung, durch die Beschränkung auf studentische Interessen Sonderregelungen mit der Regierung zu erreichen.

Samstag, 24. Oktober: Anläßlich der lange geplanten bundesweiten Demonstration gegen das Sparpaket der Regierung gehen in Wien cirka 40.000 Personen (Arbeitende, Studierende und PensionistInnen) auf die Straße.

Am 26. Oktober erklärt die ZA-Exekutive den Streik – für die Dauer der Verhandlungen mit dem Ministerium – für ausgesetzt. Vorerst stößt dies bei den streikenden Studierenden jedoch auf unterschiedliche Resonanz. Im Streik verbleiben jene Fakultäten und Universitäten wo die AG keine dominierende Position innerhalb der ÖH hat – d.h. auf der TU-Wien, an der Universität Klagenfurt und auf der Uni-Salzburg geht der Streik weiter. Ebenso an den größten Fakultäten der Uni-Wien (der Gruwi und der Gewi), die das Bild an der Uni-Wien prägen. Das Audi-Max der Uni-Wien bleibt besetzt. Die Medien stürzen sich nun aber auf den innerstudentischen Streit.

Zwar solidarisieren sich am 28. Oktober Dienststellenversammlungen von AssistentInnen und ProfessorInnen der Universitäten Wien und Klagenfurt mit den Studierenden – für die folgenden zwei Tage wird ein Warnstreik beschlossen – und es kommt auch zu weiteren Demonstrationen, doch die Streikfront bröckelt.

Am 30. Oktober gibt die ÖH-Exekutive die Ergebnisse ihrer Verhandlungen mit Wissenschaftsminister Tuppy bekannt – es wird eine Urabstimmung darüber angekündigt. Die aktiv Streikenden rufen zum Boykott der Urabstimmung auf.

Rund 2 Wochen später gibt es das Ergebnis. 13 % der inskribierten 168.000 Studierenden nahmen an der Urabstimmung teil, 84 % der RücksenderInnen des Urabstimmungsfragebogens akzeptieren das von der ÖH verhandelte Gesamtergebnis. Das Audi-Max war schon am 4. November angesichts der Entwicklungen “freiwillig” geräumt worden.


Zwar hat die Regierung einzelne, kleinere Zugeständnisse bei der Familienbeihilfenregelung gemacht, doch das Belastungspaket der Regierung konnte nicht zu Fall gebracht werden. Alle linken ÖH-Fraktionen waren nichtsdestotrotz der Meinung, dass es wichtig war, dass zehntausende Studierende lautstark protestiert haben – dem widerspricht natürlich auch der Autor dieser Rückschau nicht.