Asien versus Europa

seit Wochen sind Menschen in Österreich mit einem spürbaren Medikamentenmangel in einzelnen Anwendungsbereichen konfrontiert. Die MitarbeiterInnen in den Apotheken können die Versorgungslöcher bei notwendigen Medikamenten nicht nur wegen der stark gestiegenen Nachfrage kaum mehr stopfen.

Was steckt dahinter?

Mehr als 600 pharmazeutische Produkte sind zum Stichtag 23.1.2023 nicht oder nur eingeschränkt verfüglich. Hierzu muss gesagt werden, dass es sich nicht um 600 verschiedene Substanzen handelt, weil in den Mangellisten der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) die verschiedenen Packungsgrößen aller Zulassungsinhaber einzeln eingetragen werden müssen.

Wer sind eigentlich die sogenannten Player im System der Arzneimittelversorgung?

Da gibt es die produzierenden Firmen, die Zulassungsinhaber und die Lieferanten. Und jeder agiert gegen jeden – für den Profit. Ach ja – dann gibt es auch noch den Staat.

Die Produktion von Wirkstoffen, wichtigen Beistoffen und von Verpackungsmaterial wurde europaweit in den vergangenen 20 bis 30 Jahren zunehmend in den asiatischen Raum ausgelagert, um die dortigen niedrigeren Löhne für die Profitmaximierung der pharmazeutischen Industrie zu nutzen. Arzneimittel produzierende Standorte gibt es in Österreich nur vereinzelt. Diese orientieren sich in erster Linie am Weltmarkt und produzieren für den Export.

Die Zulassungsinhaber müssen eine Firmenniederlassung innerhalb der EU nachweisen, damit sie ihre Produkte überhaupt am europäischen Markt platzieren können.

Im österreichischen Arzneimittelgesetz sind neben den Zulassungsbedingungen, der Lagerung und dem Vertrieb auch die Pflichten der Zulassungsinhaber und (Groß-)Lieferanten in Bezug auf die Versorgungssicherheit normiert. So finden wir im § 57a AMG: „Der Zulassungsinhaber oder der Inhaber einer Registrierung einer Arzneispezialität […] haben […] die Abgabe durch Apotheken […] sicherzustellen, damit der Bedarf der Patienten im Inland gedeckt ist.“ Und weiter: „Der Bundesminister für Gesundheit kann durch Verordnung Maßnahmen […] erlassen, […] um die Sicherstellung der Versorgung der Patienten im Inland zu gewährleisten.“

In dem Zusammenhang wundern wir uns darüber, dass vom Gesetzgeber dem Minister in Bezug auf das sichere Versorgungsmanagement notwendiger Medikamente lediglich die Möglichkeit und nicht die Pflicht zum Handeln per Verordnung aufgetragen wird.

Was den Vertrieb betrifft, so agieren hier Depositeure und (Groß-)Lieferanten, die – so die Präsidentin der Apothekerkammer in Österreich – laufend über Lagerstandsanalysen der einzelnen Apotheken informiert sind. Das klingt modern, sagt aber nichts über die tatsächliche Praxis aus, wie nun in Zeiten der exorbitant gestiegenen Nachfrage bei Warenmangel distribuiert wird. Hier stellen sich automatisch die Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit. Wer erklärt sich dafür zuständig?

Produktion steigern, ausreichend bevorraten, gerecht verteilen

Wie also kann Europa den fortwährend auslaufenden Senf der neoliberalen Versorgungslogik wieder in die Tube zurückbringen?

Wer die aktuellen Debatten verfolgt, der fällt auf, dass zunächst im Zusammenhang mit der prekären Versorgungslage notwendiger Medikamente rhetorisch das Gegensatzpaar Europa–Asien bemüht wird. Wir kennen das schon von den PKW, den Halbleitern, den Mikrochips und der Solartechnologie. Seit Jahren wird die technologische „Stärkung Europas“ beschworen – so auch gerade jetzt, wenn sich der Kontinent schafsköpfig von ausgesuchten Warlords in einen neuen Weltkrieg treiben lässt, der Billionen verschlingen wird.

Bei aller Liebe zur europäischen Geschwisterlichkeit – wer hindert Österreich daran, in all diesen Bereichen die Vorreiterrolle zu übernehmen?

Sei es die Konversion des Individualverkehrs hin zur öffentlichen Mobilität, sei es die Konversion von der fossilen Energienutzung hin zu erneuerbaren Grundlagen des Miteinander-Wirtschaftens: Immer sind es die Kosten und das Gejammere: „Aber das wird jetzt so richtig teuer – Den Alleingang können wir uns nicht leisten.“

Schauen wir uns konkret an, was wir uns angeblich leisten können! Die jährliche Bevorratung von Mineralölen ist verpflichtendes Gesetz in Österreich. Eine sogenannte Landesverteidigung, welche die Lebensqualität von Boden, Luft und Wasser dezidiert ausklammert, ist selbstverständlich normiert und darf Milliarden kosten. Die trostlos beschnittene Wirkmacht des Gesundheitsministers bei den Medikamenten mittels einer windigen „Kann-Bestimmung“ auf dem Verordnungsweg ist uns recht und billig? Aber die ausreichende Produktion und Bevorratung von grundlegend wichtigen Medikamenten ist uns zu teuer?

Der ZVPÖ mahnt dringend ein, den Fokus zu richten auf entscheidende Investitionen für die Schaffung moderner Arbeitsplätze durch Pharmaproduktion auf hiesigem Boden, auf verantwortungsvolle Bevorratung und verteilungsgerechte Gesetzgebung.

Erstveröffentlicht in „aktiv Leben“, der Zeitung des ZVPÖ.