Sezonieri in Simmering: Was ist der Preis für unser Gemüse?

Am 9. Jänner 2024 war die Aktivistin Sónia Melo von der Sezonieri-Kampagne bei unserer kommunalpolitischen Veranstaltungsreihe zu Gast. Dabei wurde die Kampagne mit Schwerpunkt Wien-Simmering vorgestellt und gemeinsam diskutiert, wie Erntearbeiter:innen gemeinsam unterstützt werden können. Ein kurzer Bericht von der Veranstaltung.

Obst und Gemüse aus der Region – das klingt zunächst nach einer vollumfänglich guten Sache: die lokale Produktion stellt einen guten Teil der Versorgung sicher, die Transportwege sind möglichst kurz, die Nahrungsmittel bleiben frisch und wurden vermutlich unter ausreichend guten Umweltstandards hergestellt. Nicht zuletzt wird die Landwirtschaft vor Ort gestärkt – das ist wichtig, um dem Sterben der Städtebäuer:innen entgegenzuwirken.

Jährlich stellen die Betriebe in der Simmeringer Heide etliche Tonnen Gurken, Paprika, Paradeiser und Salat in den Betrieben der Simmeringer Haide her. Schnell erwächst ein bäuerliches Idyll zwischen Gewächshaus und Acker vor unseren Augen. So erleben wir den Gewinn agrarischer Erzeugnisse in Werbung und Medien. Nur zu gerne vergessen wir, wie sehr die moderne Landwirtschaft industrialisiert ist – und jede Industrie braucht ihre Arbeiter:innen.

Wir haben uns gefragt, wer diese Menschen sind, die „unsere“ Äcker bestellen und jene Ernte einbringen, die wir dann schön aufgemacht und sympathisch beworben (sowie in viel zu viel Plastik verpackt und zur Bekräftigung des urigen Narrativs oft mit einem schönen Österreich-Fähnchen versehen) im Supermarkt vorfinden. Wie sieht ihre Lebensrealität der Gärtner:innen von Simmering aus?

Sónia Melo ist Aktivistin der Sezonieri-Kampagne und setzt sich für die Rechte von Erntearbeiter:innen in Österreich ein. Im Rahmen unserer monatlichen Themenabende „Kommunal im Roten Elefanten“ hat sie einen Einblick in die mitunter erschütternden Lebensumstände der Gärtnerinnen der simmeringer Agrarbetriebe gegeben.

Die große Mehrzahl stammt aus Rumänien und Bulgarien. Sie reisen zu Beginn der Saison etwa ab Februar aus ihrer Heimat an und kümmern sich dann bis Ende Herbst um die schwere landwirtschaftliche Arbeit. Eine Arbeit, die in Österreich zu diesem Lohn niemand verrichten wollen würde. Für sie zahlt es sich im Vergleich zu den noch viel geringeren Einkommen in ihrer Heimat aus. Dabei erhalten sie in den wenigsten Fällen den vollen, ohnehin kläglichen Lohn, den die Kollektivverträge ihnen zugestehen würden. In einfachen, kargen Behausungen untergebracht arbeiten sie von früh bis spät auf den Feldern, freie Tage werden kaum zugestanden, Überstunden sind die Regel, willkürliche Vorschriften der Arbeitgeber:innen greifen tief in die Privatsphäre ein. Nicht alle Arbeiter:innen sind überhaupt angemeldet, die Mehrzahl nur zu einem viel zu geringen Teil. Die Gesundheitsversorgung findet aufgrund der fehlenden Anstellung mitunter mittels der Hausapotheke ihrer Dienstherr:innen statt.

Zu diesen stehen die Erntearbeiter:innen in einem harschen Abhängigkeitsverhältnis: Kaum der deutschen Sprache mächtig kennen sie ihre Rechte nicht – und wer im nächsten Jahr wiederkommen will, muss jede Widrigkeit stillschweigend erdulden. Schließlich obliegt es den gutvernetzten Leiter:innen der Betriebe in beinahe gutsherr:innenartiger Manier darüber zu entscheiden, wer künftig die Chance haben wird, in ihren Produktionsstätten tätig zu sein.

Die Sezonieri-Kampagne setzt gemeinsam mit Gewerkschaften genau hier an. Die Erntearbeiter:innen sollen die Chance bekommen ihre Rechte zu kennen und für sie einzustehen. Zu diesem Zweck werden Deutschkurse angeboten und niedrige Rechtsberatung findet teils direkt auf den Feldern statt. Außerdem wird versucht, die isoliert im nächsten Umfeld der Betriebe lebenden Personen durch gemeinsame Aktivitäten ins soziale Leben der Stadt einzubinden. Mediale Aufmerksamkeit und Berichterstattung helfen dabei, die Erntearbeiter:innen aus der strukturell aufgezwungenen Unsichtbarkeit zu holen.

Allerdings wäre es verkürzt, die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse allein den Landwirt:innen anzulasten. Nur wenige große Lebensmittelkonzerne dominieren den Einkauf und Verkauf landwirtschaftlicher Produkte in Österreich. Die Gewinnspanne kann im Sinne der kapitalistischen Logik nie groß genug sein. Während sich Konsument:innen die im europäischen Vergleich übermäßig teuren Lebensmittel kaum mehr leisten können, sind die Landwirt:innen gezwungen die Erzeugnisse ihrer Betriebe zu Dumpingpreisen an die Händler weiterzugeben. Da schwerlich an Dünger, Fläche, Saatgut, Wasser und Energie gespart werden kann, muss dies bei der Ressource Mensch geschehen.

Den auf ihnen lastenden ökonomischen Druck durch die Konzerne geben viele Landwirt:innen bereitwillig nach unten weiter – an jene, die sich kaum wehren können. Letztlich sind es die übermächtigen Lebensmittelgiganten, Rewe, Spar und Hofer, die durch gewissenlose Preispolitik den Mehrwert abschöpfen, den die Erntearbeiter:innen in Simmering – quasi vor unserer Haustüre – unter erschreckenden Bedingungen schaffen. Dieses Missverhältnis muss aufgebrochen werden.

CH