Über Pazifismus & Bellizismus, grüne Halbwahrheiten und große Erzählungen

Die deutschen Grünen waren einst eine Partei, welche Gewaltlosigkeit und Pazifismus als zentralen Bestandteil ihrer Programmatik sah. Annalena Baerbock, die aktuelle grüne Außenministerin, kümmert dies nicht. Im Wochenrhythmus werben Baerbock, Hofreiter und Kollegen für mehr Waffen und Kampf bis zum Sieg. Laut und deutlich sagt Baerbock auch, dass es notwendig wäre “europäische Interessen” am Hindukusch und sonst wo zu verteidigen.

Doch auch bei den österreichischen Grünen hat sich in den letzten Jahren ein bedeutender Wandel vollzogen.

“Frieden ist keine Selbstverständlichkeit – das haben wir auch in Europa erst wieder lernen müssen”, so Ewa Ernst-Dziedzic, außenpolitische Sprecherin der österreichischen Grünen, anlässlich des zweiten Jahrestags der völkerrechtswidrigen Invasion der Ukraine durch das Putin Regime.

Dass Aufrüstung zu noch volleren Waffenarsenalen und einem weltweiten Rüstungswettlauf führt, dass Waffen dazu da sind, in Gebrauch genommen zu werden, kommt der grünen Abgeordneten nicht in den Sinn – obwohl all dies im aktuellen Parteiprogramm der Grünen nachzulesen wäre. Dass Waffen, auch in Friedenzeiten töten, da Unsummen an Geld in unnützes Mordgerät gestopft wird, braucht auch nicht bedacht zu werden.

Die grüne Erzählung stoppt aber nicht an diesem Punkt. Wir alle, so die Erzählung, sind vom absolut unberechenbar agierenden Putin bedroht. “Der Beistand mit der Ukraine ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern eine sicherheitspolitische Verpflichtung. Wir alle wissen was passiert, wenn sich Putin durchsetzt”, so Ernst-Dziedzic.

Was passiert, Frau Abgeordnete? Wird Putin durch Polen, Tschechien, die Slowakei durchrollen, um sogleich in Österreich einzumarschieren?

Ernst-Dziedzic mag – ich bin kein Hellseher – richtig liegen, wenn Sie meint, Putin schwelgt in Großmachtfantasien. Aber Putin einzig und allein als unberechenbaren Psychopathen zu zeichnen, wird dem Problem und dem damit verbundenen Leid nicht gerecht. Zu fragen ist: war und ist es wirklich klug, insbesondere aufgrund der leidvollen geschichtlichen Erfahrungen der Russen, die NATO-Ausgrenze bis kurz vor Moskau vorschieben zu wollen? Oder umgekehrt: Vielleicht ist ein kurzes Googeln – Stichtwort: Kubakrise 1962, die Sowjets wollen Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen unmittelbar vor der Haustür der USA in Stellung bringen – hilfreich.

Sehr interessant auch folgende Aussage von Ernst-Dziedic: “Kein zweites Mal dürfen wirtschaftliche Interessen über Menschenleben gestellt werden”, daher Stopp für russische Gasimporte durch Österreich.

Frau Abgeordnete: Wenn Sie schon von wirtschaftlichen Interessen sprechen, können Sie dann bitte das Gesamtbild skizzieren. Was ist mit den wirtschaftlichen Interessen von Oligarchen (egal ob ukrainische oder russische), was mit den Interessen internationaler Konzerne, die in der EU, den USA oder sonst wo angeblich beheimatet sind? Wo finde ich zu diesem Thema Aussagen von Ihnen? Haben Sie sich schon jemals zum Ausverkauf des fruchtbaren ukrainischen Bodens zu Spottpreisen geäußert? Oder zu den westlichen Interessen bzgl. der ukrainischen Bodenschätze? Ist es, Frau Abgeordnete, nicht auch so, dass es um diese Interessen geht, für welche zehntausende Menschen ukrainischer, russischer und sonstiger Nationalität im wahrsten Sinne des Wortes geopfert werden – ermöglicht durch westliche Waffenlieferungen und vielen, vielen Milliarden Euro, die nach Kiew gepumpt werden?

Gefährlich seien auch die russischen Desinformationskampagnen, eine Fake Reality auf TikTok und Telegram werde geschaffen, hinzu komme die gezielte Beeinflussung der Wahlen zum Europäischen Parlament – so klagt die grüne Abgeordnete weiters. Ich antworte: Mag und wird schon alles so sein. Wie sieht es aber im “freien Westen” aus? Haben die USA noch nie irgendwo Wahlen zu manipulieren versucht bzw. demokratische Wahlergebnisse einfach ignoriert. Ich empfehle das Stichwort Gladio zu googeln. Auch das Beispiel Chile (Stichwort: Allende) ist interessant. Bzgl. der Politik des Koloss im Norden in Lateinamerika insgesamt können Sie in einer stillen Stunde auch Bücher von Eduardo Galeano zu Rate ziehen.

Aber warum in die Ferne schweifen. Gerne können Sie auch direkt mit Menschen aus dem ehemaligen Yugoslawien reden – lassen Sie sich etwas erzählen über die Zerschlagung des Staates Yugoslawien und insbesondere über den 78 Tage und Nächte dauernden Krieg der NATO, der durch kein UN-Mandat legitimiert war, gegen ein souveränes Land im Herzen von Europa.

Sie schreiben: “Verhindern müssen wir einen oktroyierten faulen Friedenskompromiss (…) das würde nur noch andere Diktatoren motivieren, das Völkerrecht, die internationale Ordnung und die Würde der Menschen mit Füßen zu treten.”

WIR müssen verhindern, egal was die Betroffenen meinen und sagen? Dürfen und sollen nicht die Menschen in der Ukraine entscheiden, ob Sie weiterhin bereit sind, sich zur Schlachtbank führen zu lassen?

Und, Frau Ernst-Dziedzic: Was machen wir mit all den anderen politischen Entscheidungsträgern von Großmächten in Vergangenheit und Gegenwart, die das Völkerrecht ungeniert gebrochen haben? Was ist mit dem völkerrechtswidrigen IRAK-Krieg 2003, was mit den unzähligen militärischen US-Interventionen seit rund 2 Jahrhunderten? Was ist mit der Duldung bzw. Unterstützung der Massaker (es wurden rund 1 Million Menschen umgebracht!) des indonesischen Militärs (googeln Sie Suharto) durch die damalige US-Regierung? Was sagen Sie zu Regimen wie jenen in Saudi-Arabien, die von den USA und vielen westlichen Ländern aktuell hofiert werden? Und was sagen die Grünen aktuell eigentlich zu den seit Jahrzehnten andauernden Verbrechen türkischer Regierungen gegenüber den Kurden und Kurdinnen? Ups – die Türkei ist ja NATO-Mitglied.

Große Erzählungen, die mit Halbwahrheiten operieren, sind um nichts besser als die von Ihnen, Frau Abgeordnete, als Fake Reality beklagte Desinformation auf TikTok und anderen Plattformen – egal wie oft in diesen Erzählungen die Wörter Solidarität, Würde, Selbstbestimmung und Menschenrechten gebraucht werden. Was hunderten Millionen Menschen jenseits der westlichen Hemisphäre aufgrund vieler leidvoller praktischer Erfahrungen auch voll bewusst ist.

Didi Zach, Landessprecher der KPÖ-Wien